Lehrkräfte erfahren bei einer LTTA-Fortbildung von der großen Bedeutung
der Gefühle
Mit Lehrerinnen und Lehrern hat Künstler Marco Jodes einen großen Wunsch gemeinsam: „Ich möchte mit meinem Beruf etwas bewirken.“ Doch wie? Vor über zehn Jahren fand der Tänzer eine Möglichkeit, seinen Beruf zur Berufung zu machen. Er begann, sich für kulturelle Bildung zu engagieren. Inzwischen tut er dies im Programm „Learning Through The Arts“ (LTTA). Das ist seit 2007 in Unterfranken angesiedelt, mit Schwerpunkten in Würzburg und Schweinfurt.
Das LTTA-Konzept ist bundesweit einmalig und wird auch außerhalb Bayern in vielen Lehrer- und Künstlerfortbildungen geschätzt.
Gemeinsam entwickeln Künstler*innen und Lehrer*innen dann neue Unterrichtsformen und Methoden, um Schüler*innen neue Erfahrungszugänge zu erschließen.
LTTA zielt darauf ab, Kindern und Jugendlichen die Welt mit Hilfe der Künste zu erschließen. Das können, wie im Falle von Marco Jodes, Tanz und Bewegung sein. Aber auch durch Musik, Theater, Literatur und bildende Kunst sind Zugänge zu komplexen Sachverhalten möglich. Wie die Vermittlung genau funktioniert, erfuhren 25 Lehrkräfte und Künstler soeben bei einem Fortbildungstag unter Leitung von LTTA-Projektkoordinatorin Petra Weingart und LTTA-Mentorin Barbara Mahler an der Mittelschule im Würzburger Stadtteil Heuchelhof.
„Lernen beginnt mit dem Wahrnehmen im Körper“, betont Marco Jodes. Ein Satz, der zunächst irritiert. In Schulen dominiert der Verstand. Schüler sollen ihren Kopf anstrengen. Lehrer erfahren in ihrer Ausbildung, wie Schüler neue Sachverhalte, von denen sie im Unterricht erfahren, rasch kognitiv verarbeiten. Das Gefühl spielt im Klassenzimmer meist keine Rolle. Wobei Gefühle zwangsläufig immer mitschwingen – ob man das als Lehrer will oder nicht. Ein Schüler, der etwas nicht versteht, obwohl es der Lehrer schon zweimal erklärt hat, fühlt sich nicht gut. Er ist frustriert. Vielleicht auch wütend. Oder von sich selbst enttäuscht.
In LTTA geschulte Lehrkräfte haben einen großen Vorteil im Vergleich zu ihren nicht-geschulten Kollegen: Sie wissen um die Bedeutung der Gefühle beim Lernen. „Angst und Wut zum Beispiel machen Menschen körperlich ‚eng’“, erklärte Jodes den Teilnehmern der Fortbildung. Ängstliche, frustrierte oder wütende Schüler wiederum können sich nicht für neue Ideen öffnen. Dass dies tatsächlich nicht möglich ist, erfuhren die Lehrkräfte in den von Jodes angeleiteten Körperübungen. Ebenso gilt im Übrigen, dass Lehrkräfte, die sich unter Druck fühlen oder die angespannt sind, nicht wirklich offen sein können für ihre Schüler, deren Stimmung und deren Bedürfnisse.
Wie man sich mit einem so schwierigen, abstrakten Begriff wie „System“ künstlerisch im Unterricht auseinandersetzen kann, das vermittelte LTTA-Künstlerin Daniela Scheuren den Teilnehmern. Zusammen mit Lehrerin Bettina Durchholz von der Mittelschule Heuchelhof hatte die Schauspielerin zwei Doppelstunden zu diesem Thema geleitet. Durch gemeinschaftliche Übungen und durch Körperarbeit erfuhren die Neuntklässler sinnlich, dass sie in ganz unterschiedliche Systeme eingebunden sind. Etwa in ihrer Klasse. Oder in ihrer Familie. Im Staat Deutschland. Oder in der globalisierten Welt.
Wobei Systeme nichts Starres und Statisches sind. Sie lassen sich, so Scheuren, verändern: „Durch Reform oder Revolution.“ Wie sich diese mal sanfte, mal gewaltsame Form von Veränderung anfühlt, erlebten die Teilnehmer der Fortbildung bei Gruppenübungen. Reformen wurden dabei symbolisiert durch gleitende Übergänge von einer gemeinschaftlichen Körperfigur in die nächste. Abrupte, unüberlegt-spontane Positionswechsel symbolisierten die Revolution. Scheuren: „Dabei weiß man vorher nicht, was nachher sein wird.“
Sinn und Zweck des Nachdenkens über Systeme und deren mögliche Veränderbarkeit war es, den Mittelschülern vom Heuchelhof zum meist erstmaligen Nachdenken über ethische Aspekte des Konsums zu bringen. Die Jugendlichen, so Scheuren, verbringen zwar viel Zeit am Computer und mit dem Handy: „Doch die meisten lesen keine Zeitung und schauen keine Nachrichten.“ Vieles, was sie zum Thema „Konsum“ erfahren haben, war ihnen völlig unbekannt.
Die wenigsten hatten sich bisher zum Beispiel Gedanken darüber gemacht, was es bedeutet, billige T-Shirts zu kaufen. Sie hatten noch nie davon gehört, wie es Textilarbeiterinnen in Bangladesch geht. Nun dachten sie zusammen darüber nach, wie sie konsumieren können, ohne dass andere Menschen ausgebeutet werden und ohne dass die Umwelt immer weiter zerstört wird. Wie viel darf man konsumieren? Welchen Labels kann man trauen?
In rund 25 Schulen sind LTTA-Artisten derzeit im Einsatz, und zwar in allen Fächern – angefangen von Mathematik über Deutsch bis hin zu Geschichte. Rund 100 Lehrkräfte und Künstler haben die LTTA-Ausbildung bisher absolviert. „Bei uns hat LTTA schon eine kleine Tradition“, erzählte Fortbildungsteilnehmerin Birthe Weber von der Grundschule in Lengfeld. Seit elf Jahren vertiefen Künstlerinnen und Künstler Themen des Unterrichts mit Hilfe von Tanz, Schauspiel, Musik und Storytelling. „Dabei entstehen ungeahnte Energien“, sagt die Lehrkraft, die sich gerade in den letzten Zügen der dreijährigen LTTA-Ausbildung befindet.
Wie man ein Unterrichtsprojekt gemeinsam durchführt, davon berichtete Geschichtenerzählkünstlerin Karola Graf, die sich als Lead-Artist bei LTTA engagiert. Graf gehört dem Projekt fast von Beginn an. Dreimal im Laufe eines Schuljahres ist sie in einer Schule vor Ort. Bei ihr lernen Kinder auf spielerische Weise, mündlich zu erzählen. Was vielen heutzutage schwerfällt.
An der Universität Würzburg wird für die Studierenden aller Lehrämter das Seminar LTTA 1 über die PSE(Professional School of Education) angeboten.

1_Engagieren sich im Projekt LTTA für Bildung im ganzheitlichen Sinne (von links): Tänzer Marco Jodes, LTTA-Projektleiterin Petra Weingart, Storytellerin Karola Graf, Schauspielerin Daniela Scheuren, LTTA-Mentorin Barbara Mahler sowie Bettina Durchholz von der Mittelschule Heuchelhof. Bild: LTTA

2_Bewegung, zeigt LTTA-Artist Daniela Scheuren, steigert den Effekt des Lernens. Bild: LTTA

3_Bei LTTA-Artist Marco Jodes lernten Lehrkräfte und Künstler, Ideen mit Bewegung zu verknüpfen. Bild: LTTA